Tatort: Der Irre Iwan
“Ich mach nie wieder was mit Zwillingen”, meinte Andreas Pflüger nachdem wir endlich die Drehfassung des Irren Iwan fertig hatten. Denn die Exegese war eine Tour de Farce.
Zunächst mal haben wir uns sehr gefreut, als im Sommer 2013 klar war, dass wir nach “Die Fette Hoppe” einen weiteren Weimarer tatort schreiben sollten. Und die Grundidee kam uns, wie schon im ersten Fall von Dorn und Lessing, indem wir uns gegenseitig fragten, was wir denn interessant fänden. Heraus kam: Eine Zwiebelkönigin und ein Überfall als Tarnung für einen Mord. Der Arbeitstitel lautete “Die kaltblütige Mandy”. Sehr schwach im Vergleich.
Über mehrere Exposés hinweg entwickelte sich jedoch eine ganz neue Idee – Zwillinge die ein Doppelleben leben. Zumindest kurz, denn sie wurden bei der Geburt getrennt und treffen erst auf dem Weg zu einem Scheidungsanwalt zufällig aufeinander. Schnell stand fest, dass einer der Stadtkämmerer sein musste, während sein Bruder eine Geisterbahn auf dem Rummel hat.
Die große Frage war nun: welcher von beiden hatte den anderen umgebracht, um dessen Leben weiterzuführen? Wir entschlossen uns für den Stadtkämmerer, der seine Zukunft an der Seite der toughen Rita auf dem Rummel sah. Das Drehbuch entwickelte sich sehr schön, die erste Fassung war bald geschrieben – doch in der folgenden Besprechung merkte unser Redakteur Sven Döbler an, dass es doch komischer sei, wenn der Geisterbahn-Betreiber permanent in die Schuhe des Stadtkämmerers schlüpfen würde. Was für Andreas und mich bedeutete, dass 70% des Drehbuchs komplett neu geschrieben und gedacht werden mussten.
Schier erschlagen von der Aussicht auf dieses Arbeitspensum, schrieben wir einfach die ersten Seiten der neuen Fassung in schlecht. Also in derart miserabel, wie wir es uns nur ausmalen konnten. Wir versuchten, alles verkehrt zu machen, was man in einem Drehbuch nur verkehrtmachen kann: Gedanken in die Action-Beschreibungen packen, Dialoge, die keinen Sinn ergeben, ultraselbstreferentielle Bemerkungen – einfach nur Schrott. Passend änderten wir auch den Titel in “Die zwei Zwillinge des Todes”. Nach zwei Stunden dieses Prokratinationsausflugs kam uns eine Idee: Das schicken wir einfach am Freitag an Sven und unsere Produzentin Nanni Erben – nur, um zu testen, wie sie darauf reagieren. Das fertige Drehbuch wollten wir dann am Montag hinterherschicken. Hier die Zusammenfassung, die wir vor jedes Buch stellen – und die wir auch wunderbar schlecht gemacht haben:
Bei einem ungewöhnlich skurrilen Bankraub auf die Stadtkämmerei wird die Chefsekretärin der Stadtkämmerei von einem vermummten Mörder erschossen. Die Kommissare wissen, dass es sich um gezielten Mord handelt, weil Sylvia ein Verhältnis mit dem Stadtkämmerer Bernhard Windisch hatte, und er von ihr erpresst wurde. Hat er den Überfall eingefädelt und die Erschießung seiner Chefsekretärin und Geliebten Sylvia Kleinert in Auftrag gegeben, um zu verhindern, dass Nicole davon Wind bekommt? Plötzlich lernen Kira und Lessing Lothar Eisenheim kennen, der eine Geisterbahn mit seiner Frau Rita hat. Er wurde ermordet und ist vielleicht der Stadtkämmerer ... Kira und Lessing ermitteln!!!
Das Ergebnis war, dass sich unser guter Redakteur das ganze Wochenende große Vorwürfe machte. Er war überzeugt, dass wir an seiner Idee kaputtgegangen waren. Entsprechend weigerte er sich auch innerlich, die am Montag gesendete neue Fassung zu lesen. Die natürlich alles andere als schlecht war. Nur zum Vergleich hier die Inhaltsangabe:
Bei einem Raubüberfall auf die Stadtkämmerei wird die Chefsekretärin Sylvia Kleinert von einem maskierten Täter erschossen. Bald finden sich Hinweise darauf, dass es sich um gezielten Mord handelte. Als sich herausstellt, dass Sylvia ein Verhältnis mit dem Stadtkämmerer Iwan Windisch hatte, rückt Iwan ins Visier der Kommissare. Hat er den Überfall und den Mord an Sylvia in Auftrag gegeben, um zu verhindern, dass seine extrem eifersüchtige Frau Nicole von der Liebschaft erfährt? Bei ihren Ermittlungen stoßen Kira und Lessing auf Rita Eisenheim, die mit ihrem Ehemann Josef eine Geisterbahn betreibt und zur Kirmes nach Weimar gekommen ist. Josef Eisenheim weist auf einem Foto eine unfassbare Ähnlichkeit mit Iwan Windisch auf – könnte es sich um denselben Mann handeln? Die Kommissare beschleicht der Verdacht, dass der Stadtkämmerer ein bizarres Doppelleben führt. Hat seine Sekretärin ihn damit erpresst und musste deshalb sterben? Kira und Lessing tauchen erneut tief in den Weimarer Wahnsinn ein ...
Das ganze schlechte Script stelle ich bald online …
Kamera: | Reinhard Glöde |
Buch: | Murmel Clausen |
Andreas Pflüger | |
Regie: | Richard Huber |
Produzentin: | Nanni Erben |
Redaktion: | Sven Döbler |
Stimmen
Stellenweise urkomisch, dann ziemlich absurd und sogar ein wenig erotisch.
Focus Online
Unlogisch ist die Handlung nicht einmal, nur eben mordsunwahrscheinlich. Alle Beteiligten scheinen den Fall selbst nicht ganz ernst nehmen zu können. „Der Irre Iwan“ ist eigentlich ein „Tatort“ nach dem Untergang des „Tatorts“, ein schöner Jux mit dem Genre. Man würde sich nicht einmal wundern, wenn die Autoren aufträten und die Figuren Witze über das Drehbuch rissen.
FAZ
Der Neujahrs-Tatort aus Weimar ist bekennend gaga und bestimmt nichts für Puristen, aber die Ideen sind herrlich, und Tschirner und Ulmen halten das Ganze zusammen, sie wirken so wurschtig und schnoddrig und unangestrengt, sie spielen keine Rollen. Sie spielen.
Süddeutsche Zeitung
Mit dem Fall aus Weimar, „Der Irre Iwan“, ist dem Regisseur Richard Huber und den Buchschreibern Murmel Clausen und Andreas Pflüger ein wahrlich kurioses Kabinettstück gelungen. (…) die lässigen Kabbeleien zwischen Lessing (Christian Ulmen) und Dorn (Nora Tschirner) befeuerten das Ganze noch zusätzlich.
Stuttgarter Zeitung
In jedem konventionellen “Tatort” würden die Kapriolen, die alle Beteiligten schlagen, ungemein konstruiert wirken, nicht aber in “Der irre Iwan”. Der Weimarer “Tatort” persifliert alle gängigen Krimi-Klischees – und macht seinen Job dabei verdammt gut.
n-tv
Die fließenden Übergänge und beiläufigen Kollisionen zwischen Krimifall und Beziehungsspiel sind die besondere Stärke dieser Kriminalkomödie.
tittelbach.tv